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Psychotherapie bei HIV-Patienten

Petra Losse-Brust

Die Tatsache einer HIV-Infektion kann ein erhebliches psychisches Trauma für die Betroffenen darstellen. Trotz der inzwischen guten Therapiemöglichkeiten kann die Tatsache der Virusinfektion und die Notwendigkeit, dauerhaft Medikamente mit potentiellen Nebenwirkungen einnehmen zu müssen, als Bedrohung der körperlichen Integrität erlebt werden. Vor allem aber ist die soziale Existenz durch Stigmatisierung und Ausgrenzung gefährdet und die psychosexuelle Existenz durch die Möglichkeit beeinträchtigt, Sexualpartner zu infizieren.

Die Reaktion auf das positive Testergebnis und die Bewältigungsstrategien sind abhängig von individuellen Persönlichkeitsmerkmalen und den lebensgeschichtlichen Erfahrungen. Als günstig können intakte Abwehrmechanismen, ein flexibler coping-Stil und ein funktionierendes soziales Netz angesehen werden. Demgegenüber stehen totale Verleugnung, defensiv-vermeidender coping-Stil und soziale Isolierung.

Schwere Depressivität und Suizidalität erfordern eine sofortige Krisenintervention. Darüber hinaus sind länger dauernde Psychotherapien vor allem dann indiziert, wenn durch die Infektion frühere Traumata reaktiviert werden und sich eine manifeste neurotische Störung entwickelt. Häufige Beispiele, die eine Intervention notwendig machen, sind schwere Selbstwertkrisen, nicht zu beherrschende Schuldgefühle, Scham oder Selbsthass, Angstkrankheiten mit Panikattacken oder psychovegetativen Symptomen sowie Beziehungskonflikte.

Insgesamt ist das Bedürfnis nach höherfrequenter und langfristiger Psychotherapie eher gering. Eine weitaus höhere Akzeptanz haben zeitlich begrenzte Therapieangebote in Krisensituationen, wie sie im Verlauf der HIV-Infektion und AIDS-Erkrankung immer wieder auftreten können. Besonders kritisch sind der Zeitpunkt der Diagnosemitteilung, der Beginn einer antiretroviralen Therapie, Beziehungskonflikte, das Auftreten stigmatisierender körperlicher Veränderungen und Verlusterlebnisse (Tod des Partners, Verlust der Arbeitsfähigkeit).

Obwohl eine tiefenpsychologische, aufdeckende Therapie in Einzelfällen sinnvoll sein kann, stehen stützende und resourcenaktivierende Verfahren im Vordergrund. Da die HIV-Infektion für jeden Betroffenen eine Erschütterung des Selbstwertgefühles und die Notwendigkeit einer Umorientierung hinsichtlich der Lebens- und Beziehungsperspektiven darstellt, ist die Hilfe bei der Wiederherstellung des psychischen und sozialen Gleichgewichts ein vordringliches Therapieziel. Dies kann, abhängig von der Person und der vorliegenden Problematik mit tiefenpsychologischen, verhaltenstherapeutischen, aber auch mit humanistischen und systemischen Ansätzen erreicht werden..

Wichtige Voraussetzungen auf Seiten des Therapeuten sind Toleranz gegenüber der Lebenswelt der Betroffenen sowie ein aktuelles medizinisches Basiswissen über die Erkrankung und ihre Behandlungsmöglichkeiten.